Hl. Ingberler Anzeiger.
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90.
Dienstag, den 5—
1881.
Deutsches Reich.
Eine soeben veröffentlichte Erklärung der national—⸗
uberalen Abgeordneten aus dem Reich und den Einzel—
andern, welche am 29. v. Mts. in Berlin festgestellt wurde,
rägt 181 Unterschriften und darf wohl sicher sein, in nationalen
ind liberalen Kreisen Zustimmung zu finden. Diese Kundgebung
st u. A. auch von folgenden Reichs- und Landtagsabgeordneten
aus der Pfalz unterschrieben; nämlich von den Herren: Dr. A.
Buhl und Dr. E. Buhl, Exter, Dr. Groß, Grohe, Herr, Jordan,
Kuby, Wolf, Schmidt-Zweibrücken und Theyson. Die Erklärung
st ebenso maßvoll wie bestimmt; hält sich gleich entfernt von pessi—
mistischer Muthlosigkeit wie von unselbstständiger Resignation; zollt
dem Fürsten Bismarck was ihm gebührt; stellt aber höher als ihn
zas Reich und dessen freiheitliche Weiterentwicklung. Weit ent—
ernt, die Macht und Gefahr der reactionären Verbrüderung zwischen
Tonservativen und Centrum zu unterschätzen, stellen sich die Na—
rional⸗Liberalen ihr vielmehr mit der klaren Erkenntniß entgegen,
zaß es im Interesse der Stärke des Reiches nach Außen, wie der
freiheitlichen Weiterbildung seiner inneren Einrichtungen geboten sei,
zen Partikularismus, den Ultramontanismus, die Socialdemokratie
uind das feudale Herrenthum, wo sie sich zeigen, zu bekämpfen.
Sollte, wie es den Anschein hat, Fürst Bismarck in diesem Kampfe
ucht länger auf Seite der National-Liberalen stehen wollen —
vohlan denn, nicht dem Fürsten Bismarck zu Liebe haben die
ational-Liberalen bisher im Kampfe ausgeharrt; sie werden darum
nuch nicht fahnenflüchtig werden, wenn Fürst Bismarck im Lager
»er Gegner arbeitet. Höher als jedes andere Interesse und jede
indere Person steht ihnen das Reich und sein Kaiser. Was nach
hrer vorurtheilsfreien Ueberzeugung diesem nicht frommt, das wird
efehdet, vertheidige es, wer immer wolle. Diese von den national—
iberalen Abgeordneten neuerdings öffentlich ausgesprochenen Grund⸗
ätze sind iht Programm; sie bleiben ihm treu. Und dieses durch
ie veränderten Verhältnisse wünschenswerth gewordene unumwundene
gekenntniß, daß, was sich auch geändert haben möge, an ihrer
leberzeugung sich nichts geändert habe, ist der wesentliche Zweck
»er neuen Erklärung, die im Uebrigen bezüglich der Haltung der
sational⸗Liberalen zu allen schwebenden politischen Fragen irgend⸗
welche Undeutlichkeit oder Zweifel schlechterdings nicht; mehr zu—⸗
lassen dürfte.
Dem Vernehmen nach wird dem Bundesrath demnächst
ne Vorlage wegen der Einziehung der Fünfmark- und der
wanzigmarkscheine zugehen.
Durch die Niederlage der Regierung bei der Hauptfrage des
Unfallversicherungsgesetzes, dem Reichszuschuß, der
mit *6 aller Stimmen gegen die Sozialdemokraten und den grö—
zeren Theil der Deutschkonservativen (Präsident v. Goßler stimmte
mit Nein) abgelehnt wurde, ist das Schicksal der Vorlage für diese
Session entschieden; denn der Reichskanzler hat ebenso sich gegen
das Gesetz verwahrt, wenn es des Staatszuschusses entbehre, als
die Majorität durch die Ausführungen der verschiedenen Fraktions⸗
tedner ihre Abgeneigtheit, hier nachzugeben, bekundet hat. In
llerikalen Kreisen wird bestimmt versichert, daß das den Ausschlag
gebende Centrum auch in dritter Lesung die Staatshilfe ablehnen
verde. Wenn gleichwohl das Gesetz auch in dritter Lesung durch—
zerathen wird, so erhellt daraus mit Klarheit der Wunsch des
deichskanzlers, das Nichtzustandekommen des Gesetzes als Wahl⸗
igitationsmittel zu einer Anklage gegen den Reichstag zu verwen—
den. Und in diesem Sinne mag ihm die Thatsache der Ablehnung
des Staatszuschusses nicht einmal unlieb sein.
Nachdem die Hamburger Bürgerschaft den Beginn der mehr⸗
läͤgigen Berathungen über den Zollanschlußvertrag erst auf den 15.
Jum festgesetzt hat, eine Beschlußfähigkeit des Reichstages aber
teineswegs über den 24. Juni hinaus zu erzielen ist, so hat die
keichsregierung die Einbringung einer Vorlage über den Ham—
bnrger Zollanschluß in dieser Reichstagssession definitiv aufgegeben.
Fürst Milan von Serbien wollte am 7. ds. in Berlin
intreffen. Er steigt im königlichen Schloß ab und bleibt mehrere
Tage als Gast des Kaisers hier. Es heißt, die Reise des Fürsten
ilan bezwecke die Erhebung Serbiens zum Königreich; doch sollen
die Cabinete sich noch nicht mit dieser Frage beschäftigt haben,
welche bei Oesterreich entschiedenen Wiederstand finden dürfte. Die
Abreise des Kaisers nach Ems hängt nunmehr von der Ausdehnung
des serbischen Besuches ab.
Im Zusammenhange mit der Mittheilung der „Allg. Ztg.“
über einen Briefwechsel zwischen Kaiser und Pabst steht, daß üder
Paris die Meldung kommt, zwischen der römischen Kurie und der
preußischen Staatsregierung hätten Verhandlungen stattgefunden,
deren Ziel die Einsetzung eines Kapitularvikars in Trier
gewesen. Daß die Offiziösen diese Meldung dementiren, benimmt
ihr nichts von ihrer Glaubhaftigkeit.
Ausland.
Der französische Senat stellt sich Gambetta hindernd in
den Weg. Die Wahl des Senatsausschusses zur Prüfung des
distenwahlgesetzes hat ein Resultat ergeben, das dem Gesetz un—
zünstig ist. Der Unmuth über die demonstrative Reise Gambetta's
aach Cahors, die ihm in so überschwenglicher Weise dargebrachten
offiziellen und offiziösen Huldigungen werden auf die Stimmung
des Senates nicht unwesentlich eingewirkt haben. Man hat Proben
der Popularität des gewaltigen Kammerpräsidenten gefehen und
fürchtet, daß er trotz seiner so oft wiederholten Gegenversicherungen
die Listenwahl als eine Art von Plebiscii benutzen werde, um sich
zu unumschränkter Herrschaft aufzuschwingen. Und seltsamer Weise
fürchten sich die republikanischen Senatoren noch mehr als die
reaktionären vor dieser Möglichkeit.
Die beurlaubten Officiere der in Irland stationirten Re—
zimenter wurden beordert, sofort zu ihren Regimentern zurückzu⸗
kehren. 400 Mann Garde marschirten gestern von Dublin nach
New-Pallas ab, um das dortige Castell zu besetzen und die Ord—
nung wieder herzustellen. Die Truppen sind beordert zu schießen,
ialls Widerstand geleistet wird.
Die russischen Nachrichten sind von vollständiger Unsicher—
heit. Nach Mittheilungen vom 30. Mai hatte der Zar das Ver—
assen Gatschinas aufgegeben; nach solchen vom 1. Juni war er
olötzlich fluchtartig von dort nach Peterhof gefahren. Er soll eine
Rundreise durch Rußland antreten wollen und bereifs so weit
ein, daß er jede Nacht in einem anderen Zimmer schläft. Das
neue Terroristenkomits hat ihm seine Existenz in einem Schreiben
angezeigt, in welchem es ihm mitzutheilen „sich beehrt,“ daß unter
50 sich Mesdenden 18 „zur Verklärung des Volksiwillens“ auser—
vählt seien; die an der Spitze stehende Frau hat persönliche Rache
für Umgekommene und Deportirte Verwandte zu nehmen. Man
vill in Gatschina Spuren der Thätigkeit dieses Komité's gefunden
Jaben. Unterdeß will Ignatjew seinerseits eine Annäherung an
die Nihilisten versuchen. Wenn das wahr ist, allerdings ein Be—
weis vollendeter Verwirrung und Systemlosigkeit.
Im Mai sind in New-Yortk 76,655 Einwanderer gelandet,
darunter ungefähr 26,000 Deutsche, 17,000 Skandinavier, 15,000
Irländer, 7000 Engländer und 2000 Schotten. Die Einwanderer
enutzten 95 Dampfer. Im Ganzen sind bis jetzt in diesem Jahre
81,749 Personen gelandet, gegen 185,836 in dem entsprechenden
Zeitraum des Vorjahres. Die New-Yorker Volksvertretung hat ein
Besetz angenommen, nach welchem jeder Einwanderer, welcher durch
remde Schiffe hierher gebracht wird, einen Dollar zahlen soll zur
Bestreitung der Ausgaben des Einwanderungsbureaus, welche jetzt
om Staat New⸗VYork aufgebracht werden. Vor einigen Jahren
rklärte das höchste Vereinigte Staaten-Gericht ein ähnuches Gesetz
ür verfassungswidrig und es ist möglich, daß auch das gegenwärtige
Besetz kassirt wird, obgleich dasseibe nicht, wie das frühere die
Dampfschiff⸗Gesellschaften, sondern die einzelnen Einwanderer be—
teuern will.
Vermisjchtes.
F Auf dem Bahnhof von Homburg war, als Prinz Lud⸗
wig durchreiste, u. a. auch der dortige Krieger und Kampfgenossen—
Verein aufgestellt. Einem Kampfgenossen aus Bechofen, der im
Feldzug von 1870/71 ein Bein verloren hat, Namens Lelle, ließ
der Prinz ein Geschenk von 40 Mark überreichen.
* Aus Land au schreibt der „Eilb.““ Die Gebr. Sonnen⸗