Sl. Ingberler Anzeiger.
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ur. 79. SAZanetag den es. vꝛrae 469
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die in Bayern bekanntlich nicht bestehen oder minder „liheral“
gestaltet sind. E ⸗
Kann man gegen aller Welt offen stehende Beweise nichts
einwenden, so ruft man die Vergangenheit auf, die Verweisung
arlamenta rischer Reden in Preußen zur Aburtheilung vor die
Ztrafgerichte. Wir wollen nicht bayerische Seitenbilder aus dem
hergangenen Kammerleben entgegenhalten. Die Urlaubsverweiger⸗
ungen, um die Reden liberaler Beamter von dem Ministerohre
ern zu halten, die Strafversetzungen gegen einen ziemlich zahmen
Liberalismus, die Eingriffe in das legitimste Recht der Abgeord⸗
neten bezüglich ihrer Präsidentenwahl, die kühnen Angriffe gegen
den verhaßten Parlamentarismus“ in Verbindung mit „Reigers⸗
»ergischer“ Verfolgung der Preßfreiheit — Goltlob! essind
berstandene Dinge. Mit Hilfe des freiheitlichen Umschwungs
in Preußen unter dent liberalen Ministerium des Prinz⸗Regenten
haben wir den letztem Conflick durch den Sturz des bayherischen
Ministeriums überwunden. Auch in Preußen ift der neue Conflict
derschwunden, und das Nachgeben des Ministeriums hat dies
dewirkt — im Imteresse der staatlichen Stetigkeit der Noihwendig-
keit eines Sturzes vorzuziehen! Mögen wir nun in Bayern für
mmer sicher sein in dem Besitze eines liberalen Ministeriums und
die gegenwärtigen Kraftanftrengungen und geheimen Einflüsse der
Begner der Freiheit zu Schanden werden!
Der größte Stein des Anstoßes ist die Unentgeltlichkeit der
Zolksvertretung. Bereits fangen Gegner an einzugestehen, daß
dieser Grundsatz die Wahl nicht beeinflusse, daß dieseibe von poli
ischen Srömungen abhünge und die Parteien für ihre Vertrelet
'orgen, sofern sie es bedürfen. Dasselbe haben anch die bayeri—
cher. Zollparlamentswahlen im vollen Umfange bestätigt. Andern-
eits ist nicht zu verkennen, daß diese Einrichtung auch eine
vohlthätige Ahhilfe bildet gegen den Schneckengang wie gegen die
Ausbreitung des bureaukratischen Systems der Kammerausschüsse,
das bereits auf das selbstständige Antragsrecht der Kammermit-
zlieder in der öffentlichen Sitzung seine scheelen Blicke wirft.
übrigens wenn es wahr wäre, daß auch der Liberalismus im
Seldpuncte schwierig ist, würde dieser Puukt bei einem aufrichtigen
VBerlangen des Südens nach Einigung mit dem Norden gewiß das
zjeringste Hinderniß sein.
Endlich die Ministerverantwortlichkeit! Auch die Verfassung
des Norddeutschen Bundes kennt die „Gegenzeichnung des Bundes⸗
anzlers,“ welcher:; dadurch die Verantwortlichkeit übernimmt.“
Art. 18). Allerdings könnte dieselbe nur vor den gewöhnlichen
Gerichten geltend gemacht werden. Bayern dagegen besitzt die
tolze Einrichtung eines Staatsgerichtshofes mit Geschworenen für
ie Minister: Anklage; aber bei dem gesetzlichen Erfordernisse der
Zustimmung beider Kammern und dem regelmäßig gegentheiligen
Interesse beider Körperschaften ist die Anklage practisch kaum moͤg—
ich und so bietet die Einrichtung gewissermaßen einen Minister-
hutz vor Verantwortlichkeit.
Welches Ergebniß zeigt sich unserem Blicke bei einer weileren
Vergleichung der norddeutschen neueren Gesetzgebung; das Gemeinde⸗
vesen, Bildungswesen, die innere Verwaltung, der größte Theil
)es bürgerlichen Rechts u. w. gehört nicht zur Bundes⸗ sondern
Landesgesetzgebung. Auf diesen Gebieten können wir getrost
insere Freihei: behalten und alle mögliche Freiheit ungehindert
roch erringen.
Die Buadesgesetzgebung des deutschen Nordens hat die Ge—
verbefreiheit, Freizüg'gkeit, Paßfreiheit, die Coalitionsfreiheit der
Arbeiter, die Befreiung des Schuldners von der Körperhaft erklärt,
ie hat die freie Eutwickelung der Genossenschaften durch Anerken—
naung und Gestaltung ihres rechtlichen Daseins gefördert, sie hat
die Aufhebung der polizeilichen Veschränkungen der Eheschließutng,
»er Zinsenbejchränkunzen, des Salzmonopols ausgesprochen. In
»iesen Dingen hat sie uns größtentheils als Vorbild gedient, zum
Theile sind wir noch nicht einmal gefolgt, zum Theile selbstständige,
nicht freiheijtlichere Wege gewandelt. Der Norden hat die Ent—
iehung der perfönlichen Freiheit wegen privatrechterlicher Schuld
dDie deutsche Frage vor den liberalen Wählern
Bayerns.
Unter diesem Titel bringt die „Süddeutsche Presse“ vom 15.
Mai einen Leitartikel von der Isar aus der Feder eines „baye—
ischen Beamten“, der durch den vermittelnden und versöhnenden
Standpunkt, von dem aus er geschrieben ist, volle Beachtung
hderdient. Er lautet:
„Einigung und Freiheit“ war bezüglich der deutschen Frage
der Wahlruf der liberalen Mittelpartei Bayerns nach ihrem wort⸗
ührendet Mitgliede in der Münchener Versammling. Wir
»egrüßen von dieser Seite dieses Wort vor den für Bayerns
-chichsal diesmal außerordentlich bedeutungsvollen Wahlen; wir
wollen sie aber auch beim Worte nehmen.
Die ideale Freiheit im Sinne des Dichters und des philo—
ophischen Denkers ist wohl nicht gemeint, sonst wäre die „Einigung“
Jewiß nicht gewollt; die practische Vernunft wie die Geschichte
ehrt, daf im Völkerleben Ideale vollkommen sich nie verwirklichen.
Mit einer Gleichung muß man hier, wenn man nicht Idealpolitiker
leiben will, das Maß der Freiheit berechnen. Wie verhält ich
unser beyerisches Maß von Freiheit zu jenen in dem deutschen
Rorden? Verlieren wir oder gewinnen wir bet einer Einigung?
Das ist die practische Frage. Gewinn wäre es schon, wenn nur
ie hier errunge Freiheit keine Minderung erlitte; denn zur
Freiheit“ gewinnen wir das hohe nationale Gut der Einigung.
Lafsen wir unsern Blick hinschweifen über den deutschen
Rorden; so sieht das Auge die große ewig glanzvolle That der
deutschen Freiheitskämpfe vom Norden so todesmuthig unternommen,
vährend der deutsche Süden noch an der Seite des französischen
Welttyrannen stand. Es findet dort einen Mittelpunct der freien
eutschen Wissenschaft, während wir bei uns noch Lehrer der
hochschulen zu Märtirern ihrer freien Ueberzeugung werden sahen.
die Namen Schönlein, Seuffert u. a, in Wuͤrzburg, Döllinger,
sassaulx u. s. w. in München und neuerdings Weiß wecken trühe
krinnerungen. Eines freien Aufschwungs erfreut sich im Norden
die Industrie, und nicht zufällig ist die norddeutsche Residenze und
dauptstadt der erste Industcieort Deutschlands. In Preußen ge—
nießt die Freihrit der religiösen Ueberzeugung und der Kirchen—
gesellschaften größeren Schutz als in Bayern; ein bekannter Vor—
durf gegen das „katholische“ Bayern ist die freiere Stellung der
datholiten im „protestantijchen“ Norden.
Aber die parlamentarische Freiheit! Auch diese ist in der
herf ifung des Norddeutschen Bundes zum Theil entschiedener, zum
heil in größerem Umfange anerkaunf als in der bayerischen.
Die norddeutsche Bundesverfassung läßt kein Mitglied des Reichs-
iges „wegen seiner Asstimmung oder wegen der in Ausübung
eines Berufs gethanen Aeußerungen außerhalb der Versammlung
ur Verantwortung ziehen“ (Art. 30) und „wahrheitsgetreue Berichte
iber Verhandlungen in den öffentlichen Sitzungen des Reichstages
leiben von jeder Verantwortung frei“ (Art. 22). Die baherische
Lerfassung Tit. VIIE 8. 27 schützt nur ein Kammermitglied be—
üalich der IStimme, welche esisn seiner Kammer geführt hat“,
uͤr Mittheilungen von Kammerverhandlungen außer der Kammer
it det Verbreiter aller Wahrheitstreue ungeachtet verantwortlich.
Norddeutsche „Reichstag hat das Recht, innerhalb der Kom—
enz des Bundes Gesetze vorzuschlagen und an ihn gerichtete
rtirionen dem Bundesrathe resp. Bundeskanzler zu überweisen“
Art. 23); den bayerischen Kammern steht das Recht der Gesetzes
rschläge bezitglich der Häifte der Verfassungtitel nicht zu und
lost. das bloße Pentiouͤstecht wird ihrnen“ verkümmerte Der
keichstag, nur Volkshaus ohne eine aristokratische Körperschaft,
eben sich— geht aus directer Vollswahl ohne Stellvertretungswahlen,
oie Dauer von dtei Jahren hervor (B.⸗V. Art. 20 und
, W. G. 8. 18), ohne seine Zustimmung kanu eine bloße Ver—
agung über 39 Tage nicht stattfinden (Art. 26); er übt das
.. Budgetrecht vollitändig und alljährlich aus durch gesetzliche
Lettsellung der Einnahmen und Ausgaben des Bundes un
xrufung der Rechnungen (Art. 69 —73): lauter Verhältnisse.